Entscheiden
Allgemeine Gedanken
Entscheiden bedeutet, zwischen Möglichkeiten zu wählen. Es bedeutet auch, sich Möglichkeiten offen halten zu können. Entscheiden ist ein Stück Freiheit, das wir besitzen oder zumindest glauben zu besitzen. Diese Freiheit kann durchaus zu Lasten fallen, denn der Mensch trägt ungern die Konsequenzen falscher Entscheidungen. In einer Welt unbegrenzter Möglichkeiten, die uns der unser Lebensstil zu Verfügung stellt, gibt es unbegrenzt viele Entscheidungen, die man treffen kann. Also auch unbegrenzt viele Möglichkeiten, sich richtig oder falsch zu entscheiden. In anderen Ländern haben Menschen nicht die Möglichkeit, über ihre Laufbahn, ihre Lebenspartner oder gar ihr Konsumverhalten zu entscheiden. Nicht entscheiden zu können, ist, global gesehen, eher der Standard. Für uns wäre das undenkbar. Jemandem, der seine Zukunft entschieden bekommt, unterstelle ich nicht, er sei glücklicher damit. Aber derjenige oder diejenige hat nicht die Möglichkeiten, eventuell falsche Entscheidungen zu treffen, da ihm die Verantwortung der Entscheidung abgenommen wird.
Ich ging einige der letzten Jahre meiner Schullaufbahn auf eine Gesamtschule. Dort wurde mir die Möglichkeit gegeben, jeden denkbaren Abschluss zu machen. Die Lehrer empfahlen mir netterweise, welchen Abschluss ich ihrer Meinung nach machen könnte. Ich entschied mich erst einmal für die fachliche Hochschulreife. Eine dumme Entscheidung wie sich später rausstellte. Aber ich entschied mich, danach doch noch die allgemeine Hochschulreife abzulegen. Viele, die mit mir Abitur gemacht haben, hatten große Schwierigkeiten, sich einen passenden Studiengang auszusuchen. Es gibt einfach unvorstellbar viele, vorallem, wenn man keine Studiengebühren zahlen muss. Die meisten haben zwei Semester studiert und dann gewechselt. Dieses Semester konnte ich mir aussuchen, ob ich einen Entwurf machen möchte oder lieber nicht. Letzten Monat musste ich mich entscheiden, ob ich im Frühjahr lieber nach Malaysia fliege oder nach Nepal. Heute morgen entschied ich mich, lieber um 9:16 Uhr den Zug in die Hochschule zu nehmen, statt um 8:20 Uhr. Wenn ich Bananen kaufe, kann ich mich zwischen Peru, Chile, Costa Rica und Neu Guinea entscheiden. Im Ikea kann ich einen Tisch in schwarz, rot, grün, grau oder weiß erwerben. Alternativ gibt es Buchen-, Eichen-, Fichten-, oder Nussbaumfurnier. Bei Starbucks kann ich zwischen fünf Sorten Kaffee in jeweils acht verschiedenen Ausführungen wählen. Die Frage ist, warum sollte ich zwischen 32 Kaffees entscheiden können?
Wir denken uns oft, dass es uns glücklicher macht, unglaublich viel entscheiden zu können. Doch wie schon Paracelsus feststellte, macht die Menge das Gift. Entscheiden verbraucht Energie. Glucosespeicher werden im Körper aufgebraucht, wenn das Gehirn zu viel arbeiten muss. Deshalb steht in der Mitte von Ikea ein Restaurant. Denn mit vollem Magen lässt sich besser einkaufen. Deshalb trifft man positivere Entscheidungen nach dem Frühstück und nach dem Mittagessen. Hunger stimmt negativ. In der Psychologie nennt man das Gefühl, sich falsch entschieden zu haben, kognitive Dissonanz. Es ist das Unwohlsein, wenn man seine Entscheidung nicht zurücknehmen kann oder andere Entscheidungen auch attraktiv gewesen wären.
Entscheidungen für die Umwelt
Nun gibt es auch positive Seiten am Entscheiden. Gerade in Hinblick auf die klimatischen Veränderungen unserer Umwelt ist es doch schön zu wissen, dass wir – sozusagen die Oberschicht des Planeten – die Möglichkeit haben, für diejenigen mitzuentscheiden, die nicht die Mittel besitzen. Es liegt sogar in unserer Verantwortung, uns im Alltag die vielen Fragen zu stellen, die unsere Umwelt beeinflussen. Ich habe das Gefühl, wer sich diese Fragen nicht stellt und entsprechend darauf antwortet, macht grundsätzlich Dinge, die umweltschädlich sind. Denn kein Konsumgut, das in Massen vertrieben wird oder von weit her kommt, tut der Umwelt etwas Gutes, sofern es nicht explizit versucht, etwas Gutes zu tun. Als dem Konsumenten bewusst wurde, dass Tierhaltung im Normalfall die Luft verpestet, dass Gemüse in der Regel gespritzt wird, damit es Erträge einbringt und, dass das eigene Shirt mit großer Wahrscheinlichkeit von Kinderhänden hergestellt wurde, ließ er dem Verlangen nach Kontrolle Luft. Die Artenvielfalt an Qualitätssiegeln im Supermarkt übertrifft mittlerweile die jedes Kornfelds. Wer das Kleingeld hat, kauft sich Fleisch mit Biosiegel oder Kaffee mit Fairtradesiegel. Sojajoghurt hat jetzt auch ein veganes Siegel, damit der gemeine Veganer ihn nicht ausversehen mit Kuhmilchjoghurt verwechselt. Das Siegel hat die Gewissensbisse des Käufers besänftigt. Oder besiegelt. Keine kognitive Dissonanz mehr. Keine ernsten Entscheidungen müssen getroffen werden, solange man sich auf die Seite der Siegel stellt.
Persönliche Entscheidungen
Ich selbst habe mich vor rund einem halben Jahr dazu entschieden, völlig frei von Tierprodukten zu leben. Das hatte verschiedene Gründe: Zum einen empfinde ich es nicht als notwendig, ein Tier töten zu lassen, damit ich es danach mit Kräutermarinade bestreichen kann. Der Mensch ist ein außergewöhnlicher Speziesist. Das zeigt sich darin, dass er andere Tiere unter sich einordnet und verworrene Hierarchien im Tierreich gründet. Hunde, Katzen, Pferde und Hamster kann man streicheln und als Haustier halten. Kühe, Schweine und Hühner eher weniger. Deswegen essen wir hierzulande Kühe und Hunde nicht. Zum anderen – und dieser Grund ist mir sehr viel wichtiger – trägt Nutztierhaltung erheblich zum Klimawandel bei. Als sogenannter Veganer wird mir oft vorgeworfen, dass ich die Umwelt zerstöre, indem ich Sojaprodukte kaufe. Viele reagieren dann sehr ungläubig auf die Tatsache, dass ihr Schweineschnitzel sich einmal von Soja ernährt hat. Tatsache ist, dass ca. 80% des importierten Sojas für Tierfuttermittel verwendet wird. Eine weitere Tatsache ist, dass ca. ein Drittel der weltweiten Getreideernte ebenfalls für Tierfuttermittel verwendet wird. Noch eine Tatsache: Nutztierhaltung ist für 18% der Treibhausemissionen verantwortlich.
Für ein gutes Steak gehen ungefähr 4000l Wasser den Bach runter. Deutsche essen im Schnitt 60kg Fleisch pro Jahr. Wäre alles Rindfleisch (ca. 9kg pro Jahr sind Rindfleisch), hätte ich letztes Jahr 240.000l Wasser weniger verbraucht, als der Durchschnittsdeutsche.
Egal, wie viele Gütesiegel ein tierisches Produkt hat – es bleibt ein tierisches Produkt mit all seinen Konsequenzen für die Umwelt. Ein trauriges Beispiel für das Versagen eines Gütesiegels ist meiner Meinung nach das MSC Siegel, welches verspricht, Fische aus kontrollierten Gewässern zu fangen. Die Weltmeere sind gnadenlos überfischt, zwei Drittel der Fischbestände sind bereits „abgeerntet“. Laut dem Fischratgeber von GreenPeace ist jeder Fisch, der zum Verzehr gefangen wird, bald vom Aussterben bedroht. Die Meere lassen sich nicht so einfach kontrollieren. Es gibt keine überwachten Grenzen. Den wenigsten ist offenbar bewusst, dass mit dem Sterben der Meere auch das Leben an Land stirbt.

Am Aletschgletscher lassen sich die Folgen des Klimawandels beobachten.
Wenn ich von Freunden oder Bekannten Essen angeboten bekomme, das tierischen Ursprungs ist, entschuldigen sie sich interessanterweise meistens mit: „Ach, du darfst das ja garnicht essen.“ Es klingt, als bekäme ich einen anaphylaktischen Schock bei Kontakt mit Milch oder Fleisch. Der Verzicht auf Tierisches scheint einem Verbot gleichzukommen, das ich mir selbst auferlegt habe. Dabei unterstelle ich niemandem, dass er vergessen hat, dass ich die bewusste Entscheidung getroffen habe, bei Möglichkeit darauf zu verzichten. Wenn ich auf meinen freien Willen hinweise, sehe ich mich oft mit Rechtfertigungen konfrontiert, ohne dass mir jemand Rechenschaft schuldig sein müsste, nur weil ich vegan lebe. Diese Rechtfertigungen reichen von „ich esse nur noch zwei mal die Woche Biofleisch“, über „es ändert eh nichts“ bis hin zu „der Mähdrescher, der dein Gemüse erntet, überfährt auch Kaninchen!“. Ich gebe mir große Mühe, nicht der militante Veganer zu sein, der versucht, andere von seinem Glauben zu überzeugen. Trotzdem fühlen sich die meisten durch die alleinige Tatsache, dass ich nichts Tierisches esse, auf irgendeine Weise berührt, die mir sagt, dass es ihnen nicht vollkommen Wurst ist, was mit unserer Umwelt passiert.
Wir haben die Mittel, mit unseren Entscheidungen viel zu einer saubereren Zukunft beizutragen. Sei es der Verzicht auf Plastik, auf Autofahren oder auf Fleisch. Nachhaltigkeit geht mit Verzicht einher und nicht mit einer größeren Anzahl an Alternativen. Mein größter Beitrag zum Umweltschutz ist definitiv der Verzicht auf tierische Produkte. Der Mehrwert, den künftige Generationen davon haben werden, ist größer, als der eines Stück Fleischs.
(Links folgen)