Domino/Kultur schaffen – „Must Joon“

Kultur schaffen oder besser Kultur erschaffen stellt für mich vor allem eine schöpferische Tätigkeit dar. Der Willen schöpferisch tätig zu sein ist ein wesentliches Merkmal eines Gestalters. Ich habe das Thema „Kultur schaffen“ ausgewählt, weil mir das an unserem Fachbereich fehlt — studentische Kultur. Betrachtet man die lateinische Herkunft des Begriffs „Kultur“ fallen Worte wie: Bearbeitung, Pflege, Ackerbau und  ferner: wohnen und pflegen.  Bearbeitung steht für mich für (Um-)Gestaltung von gegebenen Material. Der Ort des Lernens „unser Fachbereich“ ist vorgegeben aber gestalten wir diesen Ort auch aktiv mit? Machen wir ihn zu einem Raum, der einem Wohnraum ähnelt, an dem man sich gerne aufhält? Pflegen wir Kontakte zu Kommilitonen, reden wir miteinander, tauschen wir uns aus? Inwiefern nutzen wir unseren Fachbereich, der unser Acker ist, um Wissen und Erfahrung zu kultivieren und auszutauschen? Editorial Design, Illustration, Animation, Fotografie, Produktgestaltung sind nur Monokulturen? Die uns vergessen lassen, unseren Acker auf unterschiedliche Art und Weise zu bestellen. Pflegen wir unseren Acker oder machen wir uns schnellstmöglich nach acht Semestern (Regelstudienzeit) vom Acker?

Im folgenden möchte ich versuchen das Thema „Kultur schaffen“ am Beispiel „Must Joon“ zu illustrieren.

„Must Joon“ ist estnisch und bedeutet in deutscher Sprache „Schwarze Linie“.  „Must Joon“ ist eine Gruppe von internationalen Künstlern, Illustratoren, Grafik Designern und Studenten, deren gemeinsames Interesse das Zeichnen ist. In meinem Auslandssemester 2014 an der estnischen Kunstakademie entstand der Gedanke einer Zeichengruppe im Austausch mit Menschen, die starkes Interesse und vor allen Dingen Spaß am Zeichnen haben. Kultur pflanzt sich nur über Individuen, Gemeinschaften und ihre Gesellschaften fort, oder kann sich nur darüber überhaupt erst entwickeln. Must Joon repräsentiert genau eine solche Gruppe.  Neben dem gemeinsamen Interesse für das Zeichnen war die Grundlage für das Zustandekommen unserer Gruppe, dass wir die gleichen Werte teilen. Wir sind nicht nur daran interessiert unsere Umgebung zu beobachten und sie zu zeichnen, nein, wir betrachten das Zeichnen als unabhängiges Medium an und sehen es als wertvoll an innerhalb der Gruppe neue Wege im Umgang mit dem Medium zu erforschen. Mit der Hilfe von Zeichenspielen, welche wir selbstständig entwickelten und Experimenten entstand eine spielerische und innnovative Art zusammen schöpferisch tätig zu sein. Wir trafen uns jede Woche mindestens einmal vor der Kunstakademie, um dann spontan zu entscheiden, an welchem Ort wir zusammen zeichnen gehen wollen — öffentliche Plätze, Bars, Restaurants, Werkstätten der Akademie oder bei uns zu Hause. Wenn wir gemeinsam zeichneten, schufen wir, an welchem Ort auch immer, unseren eigenen Raum für kollektive Entfaltung. Rituale sind charakteristisch für Kulturen, unsere wochentlichen Treffen stellten ein solches Ritual dar. Innerhalb der Gruppe reagierten wir aufeinander während wir zeichneten — wir kommunizierten miteinander, ohne zu sprechen. Jeder von uns brachte seinen eigenen Stil, Fähigkeiten und Ideen mit in die Gruppe und es herrschte ein hohes Maß an Toleranz und Offenheit. Wir sehen zeichnen als ein wichtiges und hilfreiches Werkzeug an, Personen unterschiedlichster Herkunft zusammen zu bringen. Den gleichen Sinn in etwas zu sehen ist eine weitere Grundlage für die Entstehung von Kultur.

Zu guter letzt spielt der Aspekt der Pflege/Überlieferung/Weitergabe von Kultur eine wesentliche Rolle, da sich ohne sie Kultur nicht weiterentwickeln bzw. Bestand haben kann. Nach vier Monaten intensiver Zeichenaktivität, entschlossen wir mit Hilfe der entstanden Zeichnungen und Zeichenspielen ein Buch zu produzieren, welches uns als Andenken und anderen als Anleitung zum kollektiven Zeichnen dienen sollte. Wir organisierten eine Ausstellung parallel zu unserer Buchpräsentation und verbreiteten somit unsere Idee unter den Menschen. Wir stellten in verschiedenen Bücherläden und Kulturveranstaltungen unsere Publikation vor und begannen Workshops zum Thema kollektives Zeichnen zu geben. Nachdem jeder von uns in seine Heimat zurückkehren musste, schufen wir somit die Möglichkeit der kulturellen Überlieferung.

Quellen:

„Die Welt als Entwurf“ von Otl Aicher

„Domino“ von Harald Welzer

„Die sieben Bioland Prinzipien“ (Teil 1–8): https://www.youtube.com/watch?v=iptRR7j5h6c

Das Must Joon Buch sowie Eindrücke von Workshop und interaktiver Installation auf der „Bratislava Design Week 2014“:

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