Qualität, Quantität und Ökologie

Der Qualitätsbegriff

Dem Begriff Qualität kommen unterschiedliche Bedeutungen zu, so definiert er im Bereichen der Naturwissenschaften und des Ingenieurwesen die physische Beschaffenheit und Zusammensetzung einer Sache. In einem analytischen Verfahren wird beispielsweise ein Material daraufhin untersucht, ob es die Eigenschaften für einen bestimmten Zweck erfüllt. Diese Verfahren münden oft in einer Kategorisierung und Normierung der untersuchten Sache.  Sogenannte DIN Normen legen Parameter fest, die bestimmen ob die Qualität einer Sache ausreichend ist oder nicht. So regelt die DIN 4074 zum Beispiel, ob ein Schnittholz als Bauholz verwendete werden darf oder nicht.

Doch umschreibt dieses analytische Verfahren die Qualität nicht vollumfänglich und klammert den Bereich der Ästhetik und Wahrnehmung aus. Qualität wird im Bereich der Ästhetik und Philosophie dem Transzendentalen zugeordnet, also jenem Bereich der sich dem des Verstandes und der Vernunft entzieht. Er lässt sich nicht messen und auch nicht definieren und doch liegt er im Bereich unserer Wahrnehmung. In diesem Sinne ist Qualität eine ästhetische Erkenntnis, welche unmittelbar wirkt und weder auf Argumentation noch auf Analyse beruht. Man muss erfahren, um zu begreifen. Dieses Erfahren und Empfinden, das Gefühl des Gefallens oder Missfallens ist subjektiv, erst in unserem Urteilen versuchen wir, objektive Vernunftsgründe für unser Empfinden zu finden, eine Verbindung vom subjektiven Gefühl zu objektiven Vernunftsgründen zu bilden. Eine Brücke zwischen Gefühl und Verstand.

Um diese beiden Definitionsbereiche nochmal deutlich voneinander abzugrenzen, möchte ich sie gerne in einem Beispiel einander gegenüber stellen. Um die Qualität der Farbe Ultramarin nach analytischen Gesichtspunkten zu definieren, kann man sie in ihre einzelnen pflanzlichen oder chemische Bestandteile zerlegen, beobachten wie sich die Farbe unter Einfluss unterschiedlicher Lichtverhältnisse verhält oder wie stark die Intensität des Ultramarins im Laufe der Zeit nachlässt. Nichts aber in diesem analytischen Vorgehen legt offen was unser Empfinden auslöst, uns wahrnehmen lässt, wenn wir in den Bann eines tiefen Blaus gezogen werden. Es ist die transzendente Qualität einer Sache, die erst das Bild komplett macht und die Beschaffenheit vollumfänglich beschreibt.

Kant zufolge liegt die Qualität weder im Objekt noch im Subjekt, die Qualität steht vorne an (ist apriori) und ermöglicht erst ein differenziertes Wahrnehmen. Qualität lässt uns wahrnehmen.

Qualität und Quantität

Nicht selten wird die Quantität als Gegenspieler zur Qualität bezeichnet, mit zunehmender Quantität sinkt die Qualität. Dies ist vor allem ein Phänomen, welches sich im Zuge der Industrialisierung beobachten lässt. Standardisierte Verfahren und Methoden sind nicht in der Lage, bestimmte Qualitäten aufrecht zu erhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts waren es Managment-Spezialisten wie Frederick Winslow Taylor, die die Standardisierung voran trieben. Es galt die Prämisse schneller, effizienter, billiger. Die Minimierung der Material- und Farbauswahl war eine der Folgen. Noch heute zeugt Henry Fords Zitat „Any customer can have a car painted any colour that he wants as long as it is black“ von dieser Zeit. Schwarz gilt im industriellen Verfahren als besonders effizient, da es schneller trocknet als andere Farben. Letztlich führte dieser Optimierungsprozess soweit, dass sich die Farbindustrie ihres eigenen Ursprungs entledigte: dem Pigment. Viele Farben, die uns heute in den Produktwelten begegnen, sind chemisch erzeugt, ganz ohne Pigmente. Möchte man Farbtonabstufungen erreichen, werden diese nicht durch das Beimischen der Komplementärfarbe erzeugt sondern durch das Beimischen von Schwarz oder Weiß. Chemische Zusatzstoffe stabilisieren die Farbe gegenüber schwankenden Lichtverhältnissen – Alles im Sinne der Wirtschaftlichkeit. Die Folge: die Dinge erscheinen dumpf und flach und zeugen nicht von großer Lebendigkeit. Man muss nur in ein Museum gehen und sich Kunstwerke von William Turner, Jan Vermeer oder Gerhard Richter anschauen, um eine Ahnung davon zu bekommen, welche intensive Qualität Farbe eigentlich birgt und was unserer Produktwelt an Qualität abhanden gekommen ist.

Einen Eindruck, wie das Färbehandwerk vor Zeiten der Industralisierung aussah und was für Qualitäten es hervorbrachte, zeigt das Projekt Turkish Red von Formafantasma.

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Dass dies nicht gleich heißt, jegliche industriellen Herstellungsformen zu verteufeln und direkt zum Handwerk zurückzukehren, zeigt die niederländische Designerin Hella Jongerius. In ihren Arbeiten ist sie stets darauf aus, handwerkliche Aspekte mit industriellen Herstellungsverfahren zu verknüpfen und so ursprüngliche Qualitäten zu erhalten, der Gleichförmigkeit zu entkommen und die Lebendigkeit der Dinge zu erhalten. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist ihre Arbeit für Royal Tichelaar Makkum. Das 1997 entworfene Geschirr gilt als eines der ersten industriell gefertigten Produkte bei dem jedes einzelne Stück einen eigenen Charakter/Individualität erhält. Im Herstellungsverfahren wird die Keramik bei zu hohen Temperaturen gebrannt, was zu leichten Formabweichungen und Unregelmäßigkeit führt und jedem Teil so seine Einzigartigkeit verleiht. In Ihrer Arbeit für das Unternehmen Vitra, als Art Direktorin für Farbe und Materialien, zeigt sie auf wie strengere Regulierungen und Fortschritte in Materialtechnologie zwar die Funktion des Objektes verbesserten, im Hinblick auf Farbe und taktile Eigenschaften des Objektes die Qualität hingegen abnahm.  „Everthing had become very precise and very uniform, making it dull and lifeless“. In zehnjähriger intensiver Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Vitra, entwickelte Jongerius eine Farb- und Materialbibliothek, die zeigt wie verloren geglaubte Qualitäten mit industriellen Herstellungsverfahren  zu vereinen sind.

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Qualität und Ökologie

Doch was hat das alles mit Ökologie zu tun? Die oben aufgeführte Abhandlung soll aufzeigen, welche entscheidende Rolle der Gestalt der Dinge zukommt und auf welche Art sie auf unsere Wahrnehmung einwirkt. Schnell wendet man sich als Gestalter in Fragen der Ökologie fachfremden Gebieten zu. In Zeiten der Ökologie und Nachhaltigkeit sollen Gestalter plötzlich Kompetenzen erfüllen, für die es eigentlich Experten bedarf. Man ist nicht mehr nur Gestalter sondern Materialtechnologe, Chemiker, Umweltingenieur und mehr. Die Kreativität des Designers scheint ein Allheilmittel zur Bewältigung globaler Probleme zu sein. Seine eigentliche Kernkompetenz – das Gestalten – tritt in den Hintergrund und wird schnell als oberflächliches Styling abgetan. Was soll es auch anderes sein, wenn man die äußere Hülle von etwas gestaltet? Es scheint fast aus einer Verlegenheit heraus, dass Designer sich aus eigenem Antrieb neuen Kompetenzen stellen. Doch jeden Tag begegnen uns diese vermeintlichen Oberflächlichkeiten, umgeben uns, wirken auf uns ein, womöglich tiefer als unser Verstand es zugestehen möchte. Sie treten auf in Form von Qualitäten, die uns wahrnehmen lassen.

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Nicht selten hat man Begegnungen mit Produkten, wie dem oben abgebildeten Haartrockner. Es ist ein Sinnbild dafür, wie dumpfsinnig und leblos ein Produkt daher kommen kann, wie soll man zu so einem Objekt eine Beziehung aufbauen, die von Dauer und Wertschätzung zeugt? Als Gestalter wendet man sich erst recht von solchen Dingen ab, ist beschämt das die eigene Profession mit so etwas in Verbindung steht. Doch sollte nicht grade das der Aufruf zur Handlung sein?

Die Abschlussarbeit von Samy Rio am ENSCI – Les Ateliers  zeigt beispielhaft wie es aussehen kann, wenn man sich den Dingen zuwendet und ihnen eine Gestalt verleiht die nach Wertschätzung verlangt.

haartrockner

Die Gestalt also ist es, die entscheidet wie stark unsere Umwelt uns entgegentritt und wie differenziert wir sie wahrnehmen. So kann die äußere Erscheinung eines Objektes unser Qualitätsbewusstsein wecken und eine emotionale Bindung zum Produkt erzeugen und damit den Grundstein legen für einen gesunden Umgang mit den Dingen.

Links

Turkish Red by Formafantasma

Hella Jongerius

Überschreiten Designer/innen ihre Kompetenzen?

Quellen

I don`t have a favorit colour, Hella Jongerius, Gestalten Verlag, Berlin 2016

Form, Zeit und Bedeutung, Hans Zitko in Objects, Ausgabe Nummer 8, 2016

Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft